Der Ausschuss Digitale Agenda des Deutschen Bundestages veranstaltete diese Woche ein öffentliches Fachgespräch zum Thema "Plattformen: Interoperabilität und Neutralität". Unter den geladenen Sachverständigen war auch Clark Parsons, Geschäftsführer der Internet Economy Foundation.
Aufzeichnung der gesamten Sitzung
Weitere Unterlagen und Stellungnahmen
Eingangsstatement von Clark Parsons
Die erfolgreichsten Geschichten im Internetzeitalter schreiben digitale Plattformen. Ohne sie läuft nichts mehr – weder im Internet noch in der Old Economy. In Deutschland reden wir uns gern ein, wir könnten mit Industrie 4.0 digitalen Rückstand aufholen. Diese Selbstberuhigung ist ein Irrweg, denn die eigentliche Macht im digitalen Zeitalter stellen Plattformen dar.
Sechs der zehn wertvollsten Unternehmen der Welt betreiben solche Plattformen. Fünf aus den USA, eine aus China. Europa macht leider nur fünf Prozent des weltweiten Börsenwerts bei Onlineplattformen aus. 50 Prozent dagegen allein das Silicon Valley. Asiatische Anbieter wachsen auch rasant. Europa vergibt gerade wichtige Chancen.
Damit kein Missverständnis entsteht: Plattformen sind gut und wichtig, wir brauchen sie. Ihr Erfolg gründet auf ihrem Nutzen – besonders Verbraucher profitieren. Wir wollen, dass Firmen auch aus Europa ihren Platz zwischen den globalen Playern finden können.
Angesichts des Siegeszuges einiger Plattformen ist eine Debatte über ihre Marktstellung und die Anpassung von Wettbewerbsregeln entbrannt. Denn die Plattformökonomie tendiert zur Monopolbildung. Je umfassender das Netzwerk, je exklusiver das Kundenwissen, je breiter das Angebot, desto attraktiver wird die Plattform, die dadurch kleinere Konkurrenten verdrängt – bis am Ende nur eine übrig bleibt: The winner takes it all...
So haben führende Plattformen, vor allem aus den USA, eine derart dominante Marktstellung eingenommen, dass fairer und freier Wettbewerb in einigen Fällen gefährdet ist.
Es geht nicht um eine neue Frontstellung – Europa gegen Amerika. Kritik kommt gerade auch aus den USA. Die Senatorin Elizabeth Warren erklärte bereits: „Google, Apple und Amazon verdienen es, hochprofitabel und erfolgreich zu sein. Aber die Möglichkeit, sich mit den besten zu messen, muss offen bleiben für neue Marktteilnehmer und kleine Wettbewerber, die auf ihre Chance pochen, die Welt erneut zu verändern.“
Was also ist zu tun?
Wir müssen Wege finden, ein sogenanntes Level Playing Field in diesem Markt zu bewahren bzw. wiederherzustellen, damit alle aufstrebenden Plattformen ihre faire Chance bekommen können.
Vor Kurzem hat die IE.F gemeinsam mit Roland Berger die Studie "Fair Play in der digitalen Welt" vorgelegt. Unseres Erachtens sind folgende Handlungsfelder zentral:
1) Eine Einheitliche Regulierung
Der Rechtsrahmen muss vor allem europaweit angeglichen bzw. vereinheitlicht und im Hinblick auf die Förderung wettbewerblicher Strukturen verändert werden. Plattformen bedürfen eines transnationalen Regulierungsrahmens. Wo dieser nicht existiert, müssen einzelne Länder in die Bresche springen und das Marktortprinzip konsequent anwenden.
2) Die Verhinderung von Marktverschließung
Plattformen lassen sich nach Marktmacht und Systemrelevanz differenzieren. Leitfragen dafür sind: Nehmen Plattformen den Charakter einer Infrastruktur an, auf der andere aufbauen müssen? Werden sie damit zu "Competitive Bottlenecks"? Kontrollieren sie den Zugang zu Kunden und deren Daten?
Zuallererst müssen die bestehenden Wettbewerbsregeln konsequent durchgesetzt werden. In besonders sensiblen Bereichen sollten die Bestimmungen aber angepasst werden. Dazu gehören jene Plattformen, die eine digitale Infrastruktur bereitstellen und damit systemrelevant sind – zu nennen sind hier Plattformen, die vielfältige Internetdienste in ein geschlossenes System bündeln. Monopolstellungen sind hier besonders gefährlich, denn sie geben einzelnen Anbietern die Möglichkeit, Wettbewerbern den Zugang zu erschweren oder gänzlich zu verwehren.
3) Ein neuer kartellrechtlicher Prüfprozess
Regulierung allein genügt nicht, zumal oft das Timing nicht stimmt. Ex-ante-Regulierung erschwert oder verhindert das Entstehen wettbewerbsfähiger neuer Marktteilnehmer, ex-post-Regulierung greift häufig zu spät, um vollendete Tatsachen wie die Etablierung einer Marktführerschaft noch revidieren zu können.
Anzustreben ist ein kartellrechtlicher Prüfprozess, der greift, sobald bestimmte Kriterien erfüllt sind, z.B. Reichweite, Nutzerdurchdringung oder Lock-in-Effekte. Diese müssen maßgeschneidert auf die Gegebenheiten der Digitalökonomie angepasst werden. Die im Rahmen der GWB-Novelle vorgeschlagenen Änderungen weisen in die richtige Richtung, bedürfen aber der Erweiterung z.B. bei der Frage nach Zugang zu Datenpools oder der Konkretisierung neuer Bestimmungen, wie bei der Fusionskontrolle.
4) Interoperabilität und Standardisierung
Die Plattformökonomie muss offener werden, auch durch ihre technische Ausgestaltung. Interoperabilität und Neutralität von Plattformen gegenüber vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsstufen sind notwendige Voraussetzungen. Denn nur, wenn Daten zwischen Plattformen übertragen werden können, öffnet und erweitert sich der Markt. Nur so entsteht echter Wettbewerb. Eine Schaffung offener Schnittstellen allein reicht dafür nicht aus. Es braucht gemeinsame Standards.
Es werden immer häufiger marktmächtige Unternehmen sein, die Standards etablieren. Grund ist die hohe Dynamik der Digitalökonomie, die den Normgremien regelmäßig einen Schritt vorauseilt. Umso wichtiger ist es, dass andere Marktteilnehmer auf diesen de-facto-Standards aufsetzen können.
Auch für andere Sektoren wie das produzierende Gewerbe besteht ohne Interoperabilität und Neutralität die Gefahr, durch Plattformen dominiert zu werden. Das würde unser "industrielles Herz" massiv aus dem Takt bringen und hätte ökonomische und soziale Verwerfungen zur Folge.
Ich danke dem Ausschuss für die Möglichkeit hier vortragen zu dürfen. Wir wünschen Ihnen, verehrten Damen und Herren Abgeordneten, viel Erfolg dabei, in Bundestag und Regierung ein Bewusstsein zu schaffen, wie entscheidend das Plattformthema für unsere wirtschaftliche und gesellschaftliche Zukunft ist!